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Aufwertung des § 640 Abs. 2 BGB

Die Vorschrift des § 640 Abs. 2 BGB, wonach der Besteller seine Mängelrechte nach § 634 Nr. 1-3 BGB (Nacherfüllung, Möglichkeit der Selbst- bzw. Ersatzvornahme, Rücktritt bzw. Werklohnminderung) verliert, wenn er sich diese bei der Abnahme nicht vorbehält und das Werk trotz Kenntnis eines Mangels abnimmt, wird in der Baupraxis häufig überschätzt. Ganz anders in Juristenkreisen: Da in § 640 Abs. 2 BGB der Verlust des Rechts auf Schadensersatz gem. § 634 Nr. 4 BGB nicht erwähnt ist, entsprach es fast einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass der Besteller, der in Kenntnis eines Mangel das Werk vorbehaltslos abgenommen hat, die erforderlichen Mängelbeseitigungskosten über einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann.

Das OLG Schleswig hat sich nun in seiner Entscheidung vom 18.12.2015 – 1 U 125/14 – gegen diese herrschende Auffassung gestellt und dies durchaus überzeugend wie folgt begründet:

  • Der Besteller verhält sich widersprüchlich, wenn er einerseits das Werk trotz des ihm bekannten Mangels als vertragsgerecht abnimmt, andererseits jedoch später die Mittel ersetzt haben möchte, die zur Mängelbeseitigung erforderlich sind.
  • Der Schadensersatzanspruch setzt nach § 281 Abs. 1 BGB voraus, dass der Besteller dem Werkunternehmer ergebnislos eine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hat. Dies wiederum setzt einen durchsetzbaren Anspruch auf Nacherfüllung voraus, den der Besteller aber gerade durch die vorbehaltlose Abnahme in Kenntnis des Mangels verloren hat. Dem Unternehmer steht insoweit das Recht zu, eine Nacherfüllung zu verweigern. Das OLG Schleswig sieht daher einen logischen Bruch darin, dass der Unternehmer zwar einerseits mit Blick auf § 640 Abs. 2 BGB die Nacherfüllung verweigern darf, sich andererseits mit dieser Verweigerung aber dem Schadensersatzanspruch des Bestellers gem. §§ 634 Nr. 4, 636, 280 ff. BGB aussetzt.

Da die Nacherfüllung in der Regel für den Unternehmer günstiger ist als eine Schadensersatzleistung für den Aufwand eines Fremdunternehmers, wird sein Recht auf Verweigerung der Nacherfüllung praktisch ausgehöhlt, und der Sinn und Zweck des § 640 Abs. 2 BGB konterkariert.

Das OLG Schleswig hat konsequenterweise gegen sein Urteil die Revision zugelassen, da dies zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung notwendig sei, und seine Entscheidung von der Rechtsprechung des BGH abweiche. Man darf gespannt sein, ob und mit welchem Ergebnis sich der BGH dieser Rechtsfrage nun annimmt.

Unser Praxistipp:

Mit dieser Entscheidung im Rücken erscheint es durchaus vertretbar, Schadensersatzansprüchen entgegenzutreten, die sich auf die Kosten der Beseitigung eines Mangels beziehen, den der Besteller gekannt und gleichwohl vorbehaltlos abgenommen hat.

Rechtsanwalt Werner Dupuis, Fachanwalt für Bau und Architektenrecht