Die sog. „freie“ Kündigung des Bestellers wirft bei der Erstellung der Schlussrechnung durch den Unternehmer verschiedene Fragen und Fallstricke auf, nach einer Entscheidung des EuGH drohen dem Unternehmer nun zusätzlich steuerrechtliche Risiken.
Gem. § 648 BGB kann der Besteller den Werkvertrag jederzeit kündigen. Im Gegensatz zu einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bedarf es bei einer freien Kündigung gem. § 648 BGB keines Kündigungsgrundes. Als Rechtsfolge ist geregelt, dass der Unternehmer im Grundsatz die volle Vergütung erhält, sich jedoch ersparte Aufwendungen oder anderweitigen Erwerb (sog. „Füllauftrag“) anrechnen lassen muss. Angesichts dieser (teuren) Rechtsfolge ist der Ausspruch einer Kündigung vom Besteller sorgfältig abzuwägen. § 648 gilt für alle Werkunternehmer, insb. für Bauunternehmer sowie Architekten oder Ingenieure (vgl. § 650q Abs. 1 BGB).
Kommt es zu dem Ausspruch einer freien Kündigung oder ist eine Kündigung aus wichtigem Grund unwirksam und in eine freie Kündigung umzudeuten, hat der Unternehmer eine prüffähige Schlussrechnung zu erstellen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 – VII ZR 176/12 Rn. 10) hat diese Schlussrechnung zweistufig zu erfolgen. In einem ersten Schritt hat der Unternehmer die bis zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich erbrachten Leistungen abzurechnen. In einem zweiten Schritt sind sodann die nicht erbrachten Leistungen abzurechnen sowie ersparte Aufwendungen und anderweitiger Erwerb darzustellen.
Hinsichtlich der Mehrwertsteuer ist zwischen den erbrachten und den nicht erbrachten Leistungen wie folgt zu differenzieren:
Unproblematisch und selbstverständlich unterliegen die erbrachten Leistungen der Umsatzsteuer, der Unternehmer hat die Steuer auszuweisen und an das Finanzamt abzuführen. Die nicht erbrachten Leistungen unterliegen nach ständiger Rechtsprechung des BGH (zuletzt BGH Urt. v. 18.01.2024 – VII ZR 34/23) dagegen nicht der Umsatzsteuer.
Hier sorgt nun die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH Urt. v. 28.11.2024 – C – 622/23, ZfBR 2025, 25) für Rechtsunsicherheit. Der EuGH hatte nämlich für das österreichische Recht entschieden, dass im Falle einer freien Kündigung auch die nicht erbrachten Leistungen vom Unternehmer mit Mehrwertsteuer zu versehen sind. Da das Umsatzsteuerrecht in der EU harmonisiert ist (vgl. Art. 113 AEUV und die Mehrwertsteuerrichtlinie 2006/112/EG), besteht die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten und auch Deutschland nach und nach eine Anpassung im nationalen Recht vornehmen.
Für den Unternehmer stellt sich also die praktische Frage, wie er in dieser rechtsunsicheren Rechtslage seine Schlussrechnung gestalten soll. Eine Möglichkeit besteht darin, die nicht erbrachten Leistungen mit Mehrwertsteuer zu versehen. Dann muss er diese auch an das Finanzamt abführen. Oder er rechnet nach den bisherigen Maßstäben des BGH ab (s.o.). In diesem Fall besteht indes die Gefahr, dass das Finanzamt zu einem späteren Zeitpunkt die Mehrwertsteuer verlangt. Da dies zu einem ungewissen Zeitpunkt erfolgen kann, kann sogar die Gefahr drohen, dass er die Umsatzsteuer z.B. wegen Verjährung oder Insolvenz nicht mehr bei seinem Auftraggeber durchsetzen kann und im schlechtesten Fall auf der Mehrwertsteuer sitzen bleibt.
Dr. Stefan Taube
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht